26.11.1991 15:16

Schadstoffeinsatz im IZNöSüd

Am 26.11.1991 ereignete sich im größten Industriezentrum Österreichs ein scheinbar gewöhnlicher Verkehrsunfall mit einem LKW samt Anhänger. Durch Schlamperei und krasse Übertretung sämtlicher einschlägiger Vorschriften hätte es bald eine Katastrophe für die Einsatzkräfte und die Anrainer werden können.
 
Auf der stark frequentierten Kreuzung, Straße 1 x Straße 6, ist der Anhänger seitlich gekippt und quer zur Fahrbahn liegengeblieben. Dabei riß die Plane zum Teil auf. Der Hängerzug , welches aus dem Zugwagen in leerem Zustand und einem Anhänger mit normaler Plane und Bretterboden bestand, war nicht als Gefahrguttransporter gekennzeichnet. Der zufällig vorbeifahrende Sanitäter, Herr Wawra, der auch eine Ausbildung in Sachen Gefahrenstoffe in Deutschland hatte, entdeckte die Fässer mit den Gefahrenzetteln als erstes. Sofort nahm er dem Fahrer die Frachtpapiere ab. In diesen Papieren war die Ladung als Badewannen deklariert.

15.16 Alarmierung der FF Wiener Neudorf durch die Bezirksalarmzentrale Mödling über Funkmeldeempfänger mit den Worten Hier Florian Mödling, LKW Unfall im Industriezentrum Straße 1 x Straße 6
15.17 Die traditionelle telefonische Rückmeldung über den angekommenen Alarm wurde abgesetzt, und der telefonische Zusatz lautete, daß es sich wahrscheinlich um einen Gefährliche-Stoffe-Transport handelte.
15.18 Wurde ein zweites Mal alarmiert mit diesem Zusatz.
15.20 Ausrücken der FF mit den Fahrzeugen GSF, SRF, und Tank 2. 15.24 Eintreffen am Einsatzort

Beim Eintreffen erwartete der Sanitäter bereits den Einsatzleiter, HBI Billensteiner Josef, und informierte ihn über diese Ungereimtheiten. Sofort wurde der Kreuzungsbereich gesperrt und im Umkreis von 100 Meter ein Sicherheitsabstand um die Unfallstelle eingehalten. Der Einsatzleiter und zwei weitere Feuerwehrmänner rüsteten sich mit Schutzanzügen der Schutzstufe 3 aus, um anhand der Bezeichnung auf den Fässern den Stoff zu identifizieren. Inzwischen wurden auch die Gendarmerie, die Bezirkshauptmannschaft Mödling und das Rote Kreuz verständigt. Ebenso wurde der Bezirkssachbearbeiter Schadstoff von Mödling, Herr Mag. Ing. Polasek, von der FF Perchtoldsdorf benachrichtigt. Er wurde zur Unterstützung und Beratung der Einsatzleitung benötigt. Anhand der Beschriftung auf den Fässern und mit den einschlägigen Unterlagen wie Hommel und Kühn - Birett sowie dem Laptop mit der Gefahrengutdatenbank, wurde der Stoff festgestellt.

Es handelte sich um Natriumcyanid in fester Form in 234 Fässern zu 50 kg das sind 11.7 Tonnen dieses Mediums. Ebenfalls wurde herausgefunden, daß bei Einwirkung von Säure oder großer Menge Wasser (Regen) das Blausäuregas entsteht. Gott sei Dank war es an diesem Tag trocken und windstill. Weiters konnte man ab sofort, aufgrund der Witterung, mit der Schutzstufe 2 im direkten Bereich arbeiten.
Da auch der für Natriumcyanid typische bittere Mandelgeruch wahrnehmbar war, ließ man alle einmündenden Straßen von der Exekutive und der Feuerwehr in einem Umkreis von 300 Metern sperren. Durch den Geruch war uns auch klar, daß Fässer geplatzt waren.
 
Es wurde zusätzlich die Feuerwehr Perchtoldsdorf alarmiert, welche im Schadstoffzug Mödling eingeteilt ist. Inzwischen waren auch die Rettung und der ASB mit 4 Fahrzeugen eingetroffen. Vorsorglich richtete man gemeinsam eine Verletztensammelstelle ein. Die Einsatzleitung bestand aus folgenden Personen: HBI Billensteiner, EOBI Stift, OBI Hacker, (alle FF Wr. Neudorf) HBI Drexler, FT-A Polasek, (alle FF Perchtoldsdorf) sowie Mag. Anzeletti (Bezirkshauptmannschaft) Im Auftrag des Hr. Mag. Anzeletti wurde auch der Gemeindearzt, und ein sehr guter Freund der Feuerwehr, Dr. Norbert Stadter, beigezogen, um bei eventuellen Zwischenfällen sofort eingreifen zu können. In weiterer Folge wurden durch das Rote Kreuz vom AKH Wien die notwendigen Entgiftungsmedikamente zur Einsatzstelle gebracht. Die FF Perchtoldsdorf errichtete einen Atemschutzsammelplatz welcher mit dem Lastfahrzeug einen Pendelverkehr zwischen Einsatzstelle und dem Feuerwehrhaus Wr. Neudorf zum Flaschenbefüllen durchführte.
 
Da die Gefahr bestand, daß die Fässer auf den Asphalt aufschlagen und platzen würden, versuchte man, Matratzen zu bekommen. Von dem daneben befindlichen Möbelhaus (Firma Michelfeit), wo man sich sofort bereit erklärte, uns zu unterstützen, konnten wir 26 Stk. Matratzen abholen. Somit konnte man, mit einer Gefahr weniger, mit dem Entladen des Anhängers beginnen. Man entschloß sich, vor dem Beginn des Entladens, alle Atemschutzgeräteträger und Schutzstufenträger zu einer kurzen Unterredung zusammenzuholen, um die Vorgangsweise abzuklären. Es wurden immer gleichzeitig mehrere Trupps losgeschickt um das Entladen zu beschleunigen. Somit waren immer 2 Trupps der Schutzstufe 2 mit dem Entladen des Fahrzeuges und 3 weitere Trupps mit dem Trennen der guten von den beschädigten Behältnissen beschäftigt.
  
Die beschädigten Fässer wurden mittels Folienschweißgerät und dazugehöriger Folie 2fach luftdicht eingeschweisst. Von HBM Klebinger, welcher bei der Fa. ECO Plus (Verwaltung des Industriegeländes) beschäftigt ist, wurde ein leerer Abrollcontainer zur Verfügung gestellt, um die guten Behältnisse gleich verladen zu können. Nach und nach wurde vorsichtig die Plane des Hängers geöffnet, um mit dem Entladen voranzukommen. Weiters wurde die Fa. Beck (Entsorgungsfirma) aus Brunn, wegen eines Containers, für den Abtransport der restlichen intakten und der beschädigten Fässer angefordert. Diese traf um 17.20 ein. Inzwischen hatte die Gendarmerie und die Bezirkshauptmannschaft das Zollager ausfindig gemacht, wo die Fracht eigentlich erwartet wurde. Nachdem der erste Container mit den unbeschädigten Behältnissen voll war, wurde dieser von der Fa. Beck unter Begleitschutz der Exekutive und der FF zu dieser Firma in Guntramsdorf verbracht.
Gegen 19.10 war auch der zweite Container mit den intakten Fässern verladen und ging ebenfalls nach Guntramsdorf. Einstweilen wurden die lecken, in Folie verschweißten, Fässer auf einen Spezialcontainer in wasserdichter Ausführung verladen. Nachdem diese Tätigkeit verrichtet war, nahm die Fa. Beck diesen Container mit und verwahrte diesen in einer eigens gesicherten Halle.
 
Bis zu diesem Zeitpunkt waren 19 Trupps zu je 3 Mann mit schwerem Atemschutz und großteils mit Schutzstufe 2 mit den Arbeiten beschäftigt. Es wurden insgesamt 122 Atemluftflaschen gefüllt. Die um 20.15 durchgeführte Bergung des Anhängers war nur mehr Routine. Gegen 20.30 wurde mit der Straßenreinigung begonnen, um keine Grundwassergefährdung herbeizuführen. Um 21.00 Uhr wurden sämtliche Straßensperren und Umleitungen aufgehoben. Nachdem die Fahrbahn sowie die Geräte instandgesetzt und gereinigt waren, konnte man um 23.14 Einsatzende bekanntgegeben.
 
Abschließend muß noch gesagt werden, daß der Umstand, daß es nicht geregnet hat, sowie keine Säure (Batteriesäure) im Spiel waren, noch Glück im Unglück war.
Der bittere Mandelgeruch wurde durch ein Behältnis, welches am Hänger mitgeführt wurde und eine wässrige Lösung enthielt, ausgelöst.
Weiters muß auch noch das gute Zusammenspiel der Einsatzleitung erwähnt werden, welches sicher ein größeres Schadensausmaß verhinderte.

Eine besondere Plage waren auch die Schaulustigen, welche sich mit KINDERN durch die Absperrungen zwängten, um einen besseren Blick auf das Schadensereignis zu haben. Diese Verantwortungslosigkeit ist unbeschreiblich.

Beschreibung des Stoffes
Natriumcyanid
NaCN
Na+ CN-
H2O + CN- ergiebt durch Hydrolyse
OH- Laugenwirkung ätzend und
HCN Blausäuregas

Bei einer Menge von 50 Kg HCN auf ein Körpergewicht von 100 kg kann man sagen:
"Die Menge ist für 200 Personen tödlich"
In Spitalsbehandlung ist die 20-fache letale Dosis noch entgiftbar.